11. Oktober 2014 Bericht Seite 3 im Unter-Emmentaler. Von Liselotte Jost-Zürcher
Ein Sympathieträger unter den Singvögeln
Das Rotkehlchen. Das Rotkehlchen ist eine Vogelart aus der Familie der Fliegenschnäpper und eine der häufigsten Brutvogelarten in der Schweiz. Sein schöner Gesang verrät die nahe Verwandtschaft mit den Drosseln. Wohl deshalb, aber auch wegen seiner zutraulichen Art gilt es als echter Sympathieträger unter den Singvögeln. Jetzt, wenn in den Gärten umgegraben oder auf Feldern gepflügt wird, sieht man es öfters. Später an den Futterbrettern ist es ein besonders häufiger Gast.
Sein Name ist gewissermassen eine Untertreibung. Nicht bloss die Kehle, sondern auch die Brust tragen die typische rostrote Farbe des Rotkehlchens und machen es dadurch leicht erkennbar. Klein, von rundlicher Gestalt, mit langen, dünnen Beinen und grossen, schwarzen Augen erscheint das Vögelchen besonders lieblich. Als sei es sich dessen bewusst, ist das Rotkehlchen relativ zutraulich, lässt sich gut betrachten und hält sich nur an kleine Fluchtdistanzen.
Beliebter Wohngenosse
Bis etwa in die Mitte der 1920er Jahre wurden in Europa Tausende von Rotkehlchen, Gimpeln, Drosseln und Seidenschwänze gefangen. Das Rotkehlchen war auf Grund seines kräftigen Gesanges und seiner Zutraulichkeit als Käfigvogel besonders beliebt. Auch heute werden sie zuweilen noch als Ziervögel gehalten; die Jagd auf sie ist allerdings illegal. Die Grösse des Pummelchens liegt bei etwa 13,5 bis 14 Zentimetern. Die Flügelspannweite beträgt gut 20 cm, und das Körpergewicht liegt meist bei 15 bis 18 Gramm. Die orangerote Färbung reicht von Vorderstirn und Kehle bis zur Vorderbrust und umfasst auch die Kopf- und Halsseiten; am ausgeprägtesten zeigt sich der Fleck jedoch auf der Brust. An der Stirn ist die Orangefärbung aschgrau gesäumt. Die Oberseite ist olivbraun, im Frühjahr eher gräulich gefärbt. Die weisse Unterseite wird von den hell olivbraunen Körperseiten eingefasst. Beim Rotkehlchen gibt es keinen Geschlechtsdimorphismus. Das heisst, äusserlich lassen sich Männchen und Weibchen kaum auseinander halten. Das dunkelbraune, rahmfarben gefleckte Gefieder der Jungvögel ist dagegen noch ohne Rot; Nestlinge sind blassrot gefärbt
275 «Melodien»
Das Rotkehlchen (Erithacus rubecula) fällt am häufigsten durch seinen Alarm- und Störungsruf auf, eine Reihe von kräftigen, schnell wiederholten «Zik»-Elementen. Vor Luftfeinden warnt der Vogel mit einem gedehnten «Ziih», bei einem Angriff etwa einer Eule auch mit dem trillernden Schreckruf «Zib». Der kräftige Gesang des Rotkehlchens ist mit 275 nachgewiesenen, fortlaufend ändernden Motiven äusserst vielfältig. Die Haltung des singenden Vogels ist typisch mit vorgestreckter Brust, in der Regel von einer hohen Singwarte aus. Er beginnt etwa eine Stunde vor Sonnenaufgang und ist noch eine gute Zeit nach Sonnenuntergang zu hören, hauptsächlich jedoch während der Dämmerung. Rotkehlchen singen mit Ausnahme der Mauserzeit das ganze Jahr über.
100 Dezibel
Während das Weibchen in der Brutzeit seltener singt, steigt die Gesangskurve des Männchens gleichzeitig signifikant mit der Suche nach einer Partnerin an. Der Balzgesang richtet sich an Weibchen, die möglicherweise am Revier vorüberziehen. Er lässt jedoch abrupt nach, wenn eine Paarung zustande kommt. Erfolgt jedoch gleich darauf wieder die Trennung, kann er innerhalb von Stunden in alter Stärke wieder ertönen. Insbesondere wenn das Risiko einer Kopulation durch ein fremdes Männchen am höchsten ist, verstärkt der verpaarte Revierbesitzer den Gesang, um Eindringlingen seine Präsenz und Aggression zu zeigen. Er steigert das Singen nochmals, wenn das Nest fertig und das Gelege komplett ist. Bleibt der Eindringling dennoch im Revier des Sängers, können die Kontrahenten eine Lautstärke von 100 Dezibel erreichen. Meist hört der Unterlegene mit dem Singen auf, hält sich noch eine kurze Zeit lang stumm im Gebiet auf und zieht schliesslich ab. Das Revierverhalten ist jedoch sehr ausgeprägt. Bleibt der Reviergesang erfolglos, hebt der Verteidiger den Schwanz, breitet die Flügel aus und plustert sich auf, um den Angreifer zu erregen. Gibt keiner der beiden nach, verkrallen sie sich ineinander und versuchen, den Gegner am Boden festzuhalten, um ihm die Augen auszuhacken. Solche Kämpfe dauern manchmal Stunden und können sogar den Tod des Rivalen zur Folge haben. Wenn das Weibchen in seine befruchtungsfähige Periode eintritt, fliegen die Männchen das Revier besonders häufig ab – anscheinend versuchen benachbarte Männchen, unbeaufsichtigte Weibchen zu begatten. Rotkehlchen sind Bodenbrüter. Sie bauen ihre Nester meistens in einer Vertiefung im Wald. Selten wurden in der Region auch in Halbhöhlennistkästen des Natur- und Vogelschutzvereins Wasen oder unter einer Brücke im Nistkasten einer Wasseramsel Bruten entdeckt.
Im Garten «zu Besuch» Langsam verlassen die Rotkelchen momentan die Wälder und suchen in Feld und Garten nach Nahrung. Wer im Garten gräbt, erhält nicht selten Besuch von einem Rotkehlchen, welches sich in der umgegrabenen Erde Würmer, Insekten und Larven erhofft. Im Winter ernährt es sich häufig an Futterhäuschen, wo es Fettfutter und Körner vorzieht. Es ist dabei ein totaler Einzelgänger, kommt entweder bei Tageserwachen oder in der Abenddämmerung, wenn sich keine andern Vögel am Futterbrett befinden. In Siedlungsgebieten versuchen Rotkehlchen, offen gelagerte Lebensmittel zu erwischen. Stanniolpapier mit Butter- oder Milch(rückständen) sind besonders beliebte Ziele. Der Lebensraum des Rotkehlchens befindet sich in der gemässigten und mediterranen Zone, das heisst in Nordafrika, Mitteleuropa und Kleinasien sowie auf den Mittelmeerinseln. In den wärmeren Teilen des Verbreitungsgebiets ist es ein Standvogel. In West- und Mitteleuropa zieht es teilweise als Kurzstreckenzieher und Teilzieher über kurze und mittlere Strecken. Rotkehlchen sind Nachtzieher. Bei uns gibt es Vögel, die im Winter hier bleiben und solche, die fortziehen. Die Männchen sind meist Standvögel und überstehen auch kalte Winter recht gut. Sie verschaffen sich sogar einen «Standortvorteil»: Im Frühjahr haben sie es leichter, die Gunst eines Weibchens zu gewinnen als die zurückkehrenden Männchen, weil sie bereits ein Revier geschaffen haben. Das Rotkehlchen lebt vorzugsweise in Laub-, Misch- und Nadelwäldern, sofern eine reichhaltige Bodenfauna vorhanden ist. Es ist auch im Gebüsch, in Hecken und im Unterholz zu finden. Häufig lebt es in einem wassernahen Gebiet, zieht überhaupt schattige und feuchtere Gebiete trockenen und heissen vor. Im Gebirge ist es bis auf 2600 m Höhe anzutreffen. Auch Parkanlagen, Friedhöfe und Gärten zählen zu seinem Lebensraum.
Eitler Vogel
Das Rotkehlchen ist normalerweise tag- und dämmerungsaktiv, zuweilen aber auch nachtaktiv – und eitel. Zu allen Jahreszeiten badet es sehr gerne. Morgens wäscht es das Gefieder flügelschlagend an tau- oder regennassen Blättern, um sich anschliessend kräftig zu schütteln und zu putzen. Abends zieht es das Bad an flachen Uferstellen oder an Tränken vor. Im Winter badet es notfalls auf dem Eis. Das Rotkehlchen ernährt sich hauptsächlich von Insekten, kleinen Spinnen und kleinen Regenwürmern, ergänzend auch von Früchten und weichen Samen. Zur Nahrungssuche bewegt es sich hüpfend auf der Erde vorwärts.