Bergfinken-Invasion im Schwarzwald
24. Januar 2015 Bericht Frontseite im Unter-Emmentaler. Von Liselotte Jost-Zürcher
Bergfinken-Invasion im Schwarzwald
Im Dinkelberg in Hasel (D) im Schwarzwald, unweit von der Schweizergrenze entfernt, übernachtet zur Zeit eine Bergfinken-Invasion. Den Anflug der rund drei Millionen Vögel zu erleben, ist ein unbeschreibliches Schauspiel. Dieses haben am letzten Donnerstagnachmittag auch einige Mitglieder des Natur- und Vogelschutzvereins Wasen miterlebt.
«Eigentlich wollte ich nicht mehr herkommen; ich war schon viermal hier. Aber es ist wie eine Sucht – es ist ein Phänomen. Die Ordnung, welche die Vögel in dieser Menge beibehalten, beeindruckt mich tief, und ich wünschte sie mir auch für uns Menschen.» Die Manöver und Einflüge der Bergfinken am Schlafplatz sind denn auch ein überwältigendes Naturschauspiel. Die Frau aus dem Schwarzwald schaut fasziniert zu.
Wasserfall und Schneetreiben
Ein Rauschen, ähnlich einem tosenden Wasserfall, durchzieht den nahen Wald. Hunderte von Vogelschwärmen fliegen wild durcheinander, zueinander, bilden eine riesige, schwarze Wolke und treiben gleich wieder voneinander weg. Manchmal bilden sie langgezogene Streifen am Himmel, dann wieder erinnern die Formen ihrer Wolken an ein Ahornblatt. Sekunden schnell stürzen sie nieder in Bäume und hohe Stauden, um sich ebenso schnell erneut zu formieren und einen weiteren Rundflug zu demonstrieren. Ein Wanderfalke hält das muntere Treiben zusätzlich in Atem. Er wittert leckere Nahrung. Aber dem schnellsten Vogel der Welt gelingt es nicht, in den pfeilschnellen Schwärmen einen Bergfinken zu erwischen.
Kaum jemand der vielen Menschen auf dem Platz ahnt, dass dies noch immer die Vorhut ist. Plötzlich beginnt ein Einflug, der einem Schneetreiben gleicht. Tausende und Abertausende von Vögeln kehren zu ihrem Schlafplatz zurück, nicht ohne die beschriebenen Manöver zu vollziehen. Noch stärker «rauscht der Wasserfall»; erst mit der eintretenden Finsternis wird es stiller. So richtig Ruhe herrscht bei den Bergfinken allerdings auch nachts nicht. Fasziniert beobachten gut hundert Menschen das Spektakel. Viele sind recht weit hergereist, aus der Region Basel, aus dem Elsass, aus dem Schwarzwald, aber auch aus dem Emmental ...
Es sei Zufall, dass gerade zwei Jahre nacheinander ein Bergfinken-Schlafplatz mit einer Invasion zu beobachten sei, der von Wasen aus einigermassen gut erreichbar ist, sagt Martin Leuenberger, Präsident des NV Wasen, gegenüber dem «Unter-Emmentaler». Im Januar 2014 gab es einen solchen Platz im Vallée de Joux zu bewundern. Damals waren es rund eine Million Bergfinken, die dort nächtigten. In Hasel im Schwarzwald werden derzeit zwei bis drei Millionen geschätzt. In den Wintermonaten sind die Bergfinken in unseren Misch- und Buchenwäldern anzutreffen, daneben auch in halboffenen Landschaften, in Parks und in Gärten, wo sie Futterstellen besuchen. Bergfinken ernähren sich hauptsächlich von Buchnüsschen. Nur in sehr unregelmässigen Abständen finden Masseneinflüge statt. Invasionen wie die aktuelle in Hasel sind ein spezielles Ereignis.
Schon bald beginnt ihre Reise zurück in den Norden. Im April oder Mai kommen die Bergfinken an ihren Brutplätzen, vorwiegend in Skandinavien und im nördlichen und mittleren Russland, an. Hier bleiben sie, bis die meisten von ihnen im September wieder südwärts ziehen.