«Unsere Brutvögel sind am Limit»
01. Juni 2013 Bericht im Unter-Emmentaler. Bericht von Liselotte Jost-Zürcher
«Unsere Brutvögel sind am Limit»
Das andauernde nasskalte Wetter macht nicht nur Landwirten, Gärtnereien, Bauleuten und dem Tourismus zu schaffen. Es trifft auch die Tierwelt, vor allem die Vögel. Bruten fallen aus, Jungvögel verhungern oder fallen aus den Nestern und sterben dann hilflos am Boden. «Wir hoffen noch auf ein Wunder», sagt der bekannte Vogelschützer aus Wasen, Martin Leuenberger. Aber mindestens kurzfristig zeichnet sich keine Wetterbesserung ab.
Es war ein trauriges Bild für den Wasener Gärtner, als er in diesen Tagen auf dem Friedhof arbeitete und eine Schar Staren beobachtete. Ständig fiel wieder ein patschnasser Jungvogel zu Boden. «Eine Stunde später waren die Vögel tot. Sie sind zu schwach, um der Kälte, der Nässe und dem Hunger zu trotzen.» Häufig würden sie auch an Infektionen leiden. Hilfe für solche Jungvögel gibt es kaum. «Man kann sie aufheben und in der Nähe an einen trockenen Ort bringen. Erholt sich der Vogel, beginnt er den Alten zu rufen, die ihn dann füttern kommen. Mehr können wir leider nicht tun», sagt der Vogelkenner. Martin Leuenberger befasst sich seit bald 30 Jahren mit der einheimischen Vogelwelt, trug viel zu deren Entwicklung bei. Ihm und seinen Kollegen aus dem Natur- und Vogelschutzverein Wasen (NV Wasen) ist es zu verdanken, dass sich in der Region wieder Alpensegler, Mauersegler, aber auch Neuntöter, Schleiereulen, Waldkäuze und weitere selten gewordene Vogelarten angesiedelt haben (der «Unter-Emmentaler» berichtete). Ein solches Desaster für die Vögel wie in diesem Frühjahr habe er aber noch nie erlebt, sagt er gegenüber dem «UE». Er relativiert allerdings schnell: «Wenn in den nächsten Jahren der Frühling wärmer ist, würden sich die Vogelbestände wieder erholen.»
Stark betroffene Segler
Stark betroffen sind insbesondere die Mauer- und Alpensegler sowie die Schwalben, welche sich von fliegenden Insekten ernähren. Insekten sind rar. Viele Gelege wurden deshalb von den Vogeleltern aufgegeben, oder es kam noch zu keiner Brut. «Wenn das Wetter in den nächsten Tagen wärmer würde, könnte es noch zu Nachbruten kommen», so Leuenberger. Aber das müsste umgehend geschehen, insbesondere für die Mauersegler, welche schon Ende Juli gegen Süden ziehen. Auch bei den Waldkäuzen blieb wegen dem langen Winter die Brut aus. Die Käuze beginnen bereits im März mit Brüten. Sie spüren, wenn zu wenig Nahrung verfügbar ist, sparen deshalb ihre Energie und legen gar nicht erst. Auch Falken und Schleiereulen haben mindestens zurzeit nur kleine oder gar keine Gelege; sie könnten allerdings jetzt noch legen, wenn die Temperaturen steigen würden. Aber auch die Singvögel sind betroffen, etwa die Meisen. Wegen den tiefen Temperaturen und des langen Winters trieben die Laubbäume viel später aus. Damit fehlen die Raupen, das heisst die häufigste Nahrungsgrundlage für die Meisen. Viele Nistkästen blieben diesen Frühling leer, oder Jungvögel wurden bereits bei der Nistkastenkontrolle tot in ihren Nestern gefunden.
Tägliche Anrufe
Täglich wird Martin Leuenberger von Leuten angerufen, welche halberfrorene und -verhungerte Vögel auffinden. Weder er noch seine Kollegen des NV Wasen seien eingerichtet, um sie aufzunehmen und zu pflegen, sofern dies bei den betroffenen Tieren überhaupt Sinn mache, sagt er. Er verweise jeweils auf die Vogelwarte Sempach oder auf anerkannte Vogelpflegestationen. In der näheren Region gibt es die Stiftung Wildstation in Landshut (Utzenstorf) oder diejenige in Zell (LU) bei Hermann Schwab. Noch hofft Martin Leuenberger auf ein Wunder. Nämlich darauf, dass sich die Wolken lichten und das Wetter stabil wärmer wird. Aber er weiss: «Wenn sich das Wetter in den nächsten Tagen nicht ändert, muss mit grossen Verlusten in der Vogelwelt gerechnet werden.» Die Prognosen sprechen eher gegen die Vögel. Auf Mitte nächste Woche steigen die Temperaturen zwar auf die erhofften 20 Grad; doch nach wie vor scheint das Wetter nicht stabil zu bleiben. Daran lasse sich nichts ändern: «So ist halt die Natur», meint Martin Leuenberger. Im Moment beschränke sich der NV Wasen darauf, die Nistkästen zu kontrollieren und tote Tiere oder liegengelassene Eier zu beseitigen – damit eventuellen Nachbruten nichts im Weg stehen würde.